625 gegen 632 PS - klingt wie Lamborghini und Ferrari. Mitnichten. Die Protagonisten heißen Bentley Flying Spur und Rolls-Royce Wraith und sollen Fahrdynamik und Luxus miteinander verbinden.
Während die beiden englischen Traditionsmarken auf der Insel rund 350 Kilometer weit voneinander entfernt sind, trennen sie auf dem Automobilsalon in Genf nur wenige Meter. Und die beiden Autos nur drei Zentimeter - 5,27 Meter ist der Wraith lang und 5,30 Meter der Flying Spur.
Auch in freier Wildbahn bewegen sich die beiden Edel-Platzhirsche auf Augenhöhe: Beide haben Zwölfzylinder-Power unter der Motorhaube. Beim Bentley ist es der aus dem VW-Konzern bekannte verschränkte W12-Motor, beim Rolls-Royce ist der V12, den man auch im 7er BMW zu kaufen bekommt. Beide sind doppelt aufgeladen, beide haben ein Drehmoment von satten 800 Newtonmetern - der Bolide aus Goodwood stellt es aber 500 U/min früher bereit, nämlich ab 1.500 U/min. Das macht das Gleiten im BMW etwas unaufgeregter. Beim Sprint gibt es wieder ein totes Rennen: Nach 4,6 Sekunden passieren beide die 100-km/h-Marke.
Beim Durst hat das modernere bayerisch-britische Triebwerk die Nase mit einem Durchschnittsverbrauch von 14 l/100 km um 0,7 Liter vorne. Da hilft es auch nichts, dass sich der allradgetriebene Flying Spur in zwei Stufen tiefer über den Asphalt kauert: Bei 195 km/h geht es vorne um fünf und hinten um 10 Millimeter runter, bei 240 km/h kommen noch einmal vorne acht und hinten 13 Millimeter dazu. So geduckt erreicht der Bentley eine Höchstgeschwindigkeit von 322 km/h.
Auch die Ziele sind ähnlich: Die beiden Nobel-Autobauer buhlen um die Gunst der Reichen dieser Welt und führen fast identische Argumente ins Feld. Beide nehmen für sich in Anspruch die edelsten Fahrzeuge zu fabrizieren, beide verweisen auf die Tradition und beide verbinden zunehmend Luxus mit Kraft. Allerdings enden bei den Fahrzeugkonzepten schon die Gemeinsamkeiten: Der Bentley ist eine viertürige Limousine und der Roll-Royce ein GT mit betont abfallender Dachlinie. Die ist allerdings so hoch, das es sich hinten fürstlich reisen lässt.
Gentlemen´s Club
Wenn es um das Reisen, also um den Innenraum, geht, geben die beiden Nobel-Protze alles. Vielfach verstellbare Sitze gehören zum guten Ton. Nur beste und edelste Materialien sind gut genug, um in den mehr als 200.000 Euro teuren Luxusdampfern das Interieur so erhaben zu machen, wie es nur eben möglich ist. Ausgesuchte Hölzer und feinstes Leder verströmen exklusive Eleganz, wie sie in den traditionellen Gentlemen's Clubs zu finden ist. Bei der Sitzprobe machte der Bentley in Sachen Platzangebot eine etwas bessere Figur. Logisch, ein GT, wie der Wraith, ist per se keine Limousine.
Beim Innenraum sind beide über jeden Zweifel erhaben. Wäre ja noch schöner, angesichts des Preises. Jede Naht ist fein säuberlich gesetzt, bei den Hölzern kann man zwischen zehn Furniervarianten wählen - das dunkle Eukalyptus- und das Walnuss-Holz sind serienmäßig. Insgesamt befinden sich zehn Quadratmeter davon in jedem Flying Spur.
Der Wraith lässt sich da nicht lumpen: Das zweifarbige Canadel-Panelling-Furnier erinnert an die Hölzer, die auf den teuersten Hochseejachten verbaut sind. Die Maserung des Holzes fällt in einem Winkel von 55 Grad ab, um auch im Innenraum Dynamik zu vermitteln. Der LED-Dachhimmel vollendet die Wohlfühl-Atmosphäre. 1.340 kleine Leuchtdioden sind per Hand in die Lederverkleidung über den Köpfen eingewoben. Egal, wo man sich im Fond niederlässt: In beiden Autos kommt echtes First-Class-Feeling auf.
Top modernes Infotainment
Doch mit erstklassiger Handarbeit, reichlich Raum und feinen Stoffen ist es im 21. Jahrhundert nicht getan, auch britischer Adel und erst recht die aufstrebenden Chinesen wollen unterhalten werden. Und auch da ist das Beste nur gut genug: Beim Bentley gibt es ein top-modernes Infotainment-System mit einem Achtzoll-Touchscreen vorne und zwei Zehnzoll-Monitoren hinten. Gesteuert wird die Optionsvielfalt passend per Touchscreen.
Der Wraith ist da etwas konservativer - allerdings nur rein oberflächlich. Auch wenn das Infotainment-System nicht ganz so effektheischend ist, wie beim Konkurrenten, so hat der Rolls-Royce technisch doch einiges zu bieten, das nicht auf den ersten Blick zu sehen, aber dennoch eindrucksvoll ist: Um der Vollendung des sportlichen Gleitens möglichst nahe zu kommen, greift Steuerungssoftware der ZF-Achtgang-Automatik beim Schalten auf die GPS-Daten des satellitengestützten Navigationssystems zu. Damit antizipiert die Elektronik aufgrund verschiedener Parameter, wie Gaspedalstellung und Geschwindigkeit, welche Gang für die nächsten Meter der ideale wäre.
Bei aller überlegenen und traditionellen Gelassenheit des Rolls-Royce hat der Flying Spur einen Trumpf im Ärmel, der nicht zu schlagen ist: Her Majesty Queen Elizabeth II fährt seit zehn Jahren Bentley. Vermutlich ergänzt ab Sommer der Flying Spur den königlichen Fuhrpark.
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