Man muss nicht bis zu den strahlenden Messeständen von Lamborghini oder Porsche, von Ferrari oder Aston Martin vordringen, um die zunehmende Abkehr von Mittelklasse und Mittelmaß zu spüren. Ein Lamborghini Aventador oder ein Porsche Panamera S Hybrid liegen sowieso für die meisten Messebesucher in unerreichbarer Ferne. Der 450 PS starke Maserati GranCabrio Sport, ein 300 km/h schneller Jaguar XKR-S oder ein Alfa Romeo 4C geben aber schon eine Ahnung davon, wie sexy Autofahren ohne den permanenten Blick auf Verbrauch und Effizienz sein könnte. Vom Mittelmaß sind solche Modelle meilenweit entfernt.
Auch sonst zeigt die Ausstellung in Genf die schwindende Bedeutung der automobilen Mittelklasse. Wie auf keiner anderen Messe bemühen sich gerade hier die Volumenhersteller, ihren oftmals gewöhnlichen Neuheiten dennoch Spannung, Emotionalität und Einzigartigkeit einzuhauchen. Lange Zeit war, gerade in Deutschland, die Mittelklasse das Maß der Dinge. Damit ist es vorbei. Marketingabteilungen und Kunden gieren nach Microcars, Vans, SUV, Sportwagen oder Cabriolets.
Daher gibt es von der Mittelklasse nur wenige Modelle in Genf zu sehen. Sicher, der Flavia als verkleideter Chrysler 200 glänzt am Lancia-Stand. Und die Mercedes-C-Klasse wurde aufgefrischt. Wirkliches Interesse findet aber nur die AMG-Version und das C-Klasse-Coupé. Gerade der zweitürigem Neuzugang verleiht der Modellreihe einen ungewohnten Hauch von Eleganz.
Keiner kann sich hier unterm Stern leisten, als dröge oder langweilig zu gelten. Dass man ähnliche Tendenzen auch bei einem Hersteller wie Hyundai findet, mag überraschen. Auf dem Automobilsalon zeigen die aufstrebenden Koreaner erstmals den neuen i40. An sich ist das eine Mittelklasselimousine auf der Plattform des Kia Optima. Doch Hyundai ließ beim i40 die vermeintlich volumenschwache Stufenheckversion erst einmal außen vor und zeigt zunächst eine schicke Kombiversion. Auch der i40 will mehr Tourer denn Mittelklassekombi sein.
Individualität gefragt
Bei der koreanischen Schwesterfirma Kia sieht es kaum anders aus. Ähnliche Tendenzen gibt auch ein paar Klassen darunter. Die neuen Modelle Kia Picanto und Rio sollen sich durch dynamisches Design, hochwertige Ausstattung und neu geschaffenem Markengesicht ebenfalls von der breiten Masse abheben. Denn auch in günstigen Fahrzeugklassen wird die Individualität immer wichtiger. Die großen Erfolge von Mini und Fiat 500 haben längst alle Hersteller aufgeweckt.
Auch Volkswagen vermeidet trotz seines Firmennamens allzugroße Nähe zur automobilen Gewöhnlichkeit. Das Golf-Cabriolet etwa hatte ein paar Jahre Pause. Ein Nachfolger des Erdbeerkörbchens war lange überfällig und tritt jetzt an, die kompakte Cabrioklasse aufmischen. Auch weil die deutschen Hauptkonkurrenten von Ford und Opel derzeit nichts zu bieten haben, stehen die Chancen gut. Noch deutlicher wird dies bei der Studie eines zweifarbigen Elektro-Bullis. Der Minivan spielt gekonnt mit Retrogefühlen und macht unmissverständlich eines klar: Wenn ich hier drin sitze, bin ich alles andere als gewöhnlich.
Mazda hingegen versucht einen Spagat. Der aktuelle Mazda6 ist zu brav, zu wenig emotional. Im nächsten Jahr folgt der deutliche sehenswertere 6er, dessen Konzeptstudie Shinari ebenfalls im Messezentrum Palexpo ausgestellt wird. Der ist so heiß, dass er mit seiner langen Motorhaube und der flachen Dachlinie bereits Lust auf einen Sportwagen machen. Doch noch mehr schaut das Publikum zur knallroten Studie des Mazda Minagi gleich nebenan. Der kommt im Herbst als kompakter SUV Mazda CX-5.
Dodge statt Croma
In den vergangenen Jahren mauserten sich insbesondere die SUV zu einem probaten Mittel, sich aus dem unscheinbar grauen Mittelfeld abzuheben. Wer vorher lange stolz in einem Mittelklasse-Kombi unterwegs war, wechselte mit fliegenden Fahnen auf den fahrbaren 4x4-Hochsitz - zumindest wenn seine Dienstwageneinstufung dies erlaubte. Immer weniger Privatkunden entscheiden sich seither für Volumenmodelle wie VW Passat, einen Opel Insignia oder Ford Mondeo.
Auch ein Exot wie der Citroen C5 wird sich mit seinem Nachfolgemodell ernsthaft wohl nur als DS5 in Szene setzen können. Eine Klasse darunter heißt das Ganze DS4 - auch zu sehen in Genf. Ein Citroen C4 steht da ebenso am Rande wie ein aufgefrischter Peugeot 308.
Der Fiat-Konzern sucht mit seinen verschiedenen Marken eine Neuausrichtung. Auch die Kernmarke Fiat hat sich längst von der Mittelklasse verabschiedet. Statt eines neuen Croma ist der Star auf dem Genfer Messestand ein Dodge Journey, der ab sofort Fiat Freedom heißt. Noch ein Crossover, der den gemeinen Mittelklassekunden locken soll.
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