"Klein" ist relativ. Jedenfalls bei einem Rolls Royce. Mit seinen 5,34 Metern Länge und einem Radstand von 3,29 Metern passt zwar auch der neue Rolls Royce Ghost nicht auf einen DIN-Parkplatz in der Tiefgarage - aber damit ist er immerhin noch knapp 50 Zentimeter kürzer als sein großer Bruder Phantom. Und mit 213.000 Euro Grundpreis (ohne Mehrwertsteuer) erscheint er gegen die mindestens 345.700 Euro Einstandspreis für den Großen fast schon wie ein Schnäppchen. Allzu viel Einbußen an Luxus muss man dafür ohnehin nicht akzeptieren.
Schon der Einstieg ist standesgemäß: Wie beim Phantom öffnen sich die Seitentüren gegenläufig in einem Winkel von 83 Grad. Innen: Eine Mischung von edelsten Materialien, bester britischer Handwerkskunst und dezent versteckter High Tech. Zu letzterem gehört etwa ein Multifunktionsschalter für die Bordelektronik, der nicht von ungefähr an das iDrive-System von BMW erinnert - ein Großteil vor allem der der Elektronik kommt von den Bayern.
Für gute Sicht bei Dunkelheit sorgt eine Infrarotkamera, ein Headup-Display spiegelt die wichtigsten Daten auf die Windschutzscheibe in das Sichtfeld des Fahrers. Es gibt eine Automatik für das Fernlicht und einen Spurhalte-Assistenten, der sich notfalls über ein Vibrieren im Lenkrad bemerkbar macht. Alle nichts, was es nicht anderswo und zehn Fahrzeugklassen tiefer auch schon gibt - aber in einem Rolls sind sie neu. Der Ghost ist vor allem für den Selbstfahrer gedacht - und der will nicht vermissen, was ihm jedes halbwegs gut ausgestattete Mittelklasseauto zu einem Bruchteil des Preises schon bietet.
Die Multilenker-Achsen des 2,3-Tonners haben eine elektronisch geregelte Luftfederung, die den Passagieren das Gefühl vermitteln soll, über die Straße zu schweben. Alle 2,5 Millisekunden überprüft das System alle vier Stoßdämpfer und regelt feingliedrig. Angeblich merken die Sensoren sogar, wenn sich jemand auf der Rückbank anders hinsetzt. Bei Bedarf kann die Höhe um 25 mm geregelt werden. Serienmäßig rollt der Ghost auf 19-Zoll-Reifen der Dimension 255/40.
Handarbeit
Auch ansonsten: Luxus pur, der Ghost erweist sich auch hier als ein kleiner Phantom. Auf den hinteren Plätzen bietet er nicht viel weniger Platz als der größere Bruder. Und wer ihn mit zwei Einzelsitzen ordert, der sitzt fast wie in der ersten Klasse von Singapur Airlines. Massage- und Kühlfunktion gibt es gegen Aufpreis. Serienmäßig kommt der Ghost mit einem leicht bogenförmigen Clubsofa im Fond. Und natürlich ist alles zu finden, was man sonst noch von einem Rolls erwartet: Das Kühlfach mit den zwei Champagnergläsern etwa, die Regenschirme in den Vordertüren, die klappbaren Tischchen oder die breiten C-Säulen, hinter denen man sich bei der Ausfahrt als VIP so diskret verstecken kann. Im Kofferraum ist Platz für 490 Liter Gepäck.
Nicht ohne Grund nennt Rolls Royce sein Werk im britischen Goodwood eine "Manufaktur". Dort werden die sorgsam ausgesuchten Materialien weitgehend von Hand aufbereitet und in das Fahrzeug eingebaut. Die acht Kuhhäute, die in einem Wagen verbaut werden, sind makellos. Die montierten Intarsien stammen jeweils von einem Baum, damit sie in gleichem Tempo altern und sind in mehreren Schichten aufbereitet, die Maserung wird paarweise spiegelbildlich eingepasst. Rund 20 Tage dauert es, bis ein Rolls Royce Ghost komplett montiert ist, in dieser Zeit ist er durch die Hände von mehr als 60 Mitarbeitern gegangen.
Die äußere Form des Ghost stammt aus der Feder von Designchef Ian Cameron und bricht gleich mit mehreren Traditionen. Die Stäbe des legendären Grills etwa, über dem sich wie gehabt Emily gegen den Fahrtwind stemmt, ragen nicht mehr im rechten Winkel auf, sondern sind leicht zurück versetzt. Sie sollen, findet Cameron, den Eindruck einer Jet-Turbine erzeugen. Insgesamt kommt der Ghost mit einer eher fließenden Linienführung daher, mit kürzeren Überhängen und einem kürzeren Heck. Er wirkt etwas rundlicher, geduckter, kraftvoller - ein Eindruck, den schon die ersten groben Handskizzen für das neue Modell erwecken. Das Stahlmonocoque, um das die Ghost-Karosse geschneidert wird, liefert BMW aus dem Werk Dingolfing.
2,3-Tonnen-Renner
Unter der langen Fronthaube blubbert ein V12-Bi-Turbo Motor. Früher antworteten Rolls Royce-Techniker auf die Frage nach der PS-Leistung ihrer Modelle mit "ausreichend". Heute drucken auch die elitären Briten schnöde Datenblätter. Dort steht nachzulesen, dass der 6,6 Liter große Bi-Turbo Direkteinspritzer 570 PS abliefert und schon ab niedriger Drehzahl ein maximales Drehmoment von bis zu 780 Nm. Das sorgt für eine Beschleunigung aus dem Stand auf 100 km/h in nur 4,9 Sekunden - so schnell wie ein Porsche 911 Carrera 4S, der eine Tonne weniger Gewicht und nur zwei Sitze fortbewegen muss. Bei 250 km/h wird der Ghost abgeregelt. Die richtige Dosierung der Kraft besorgt eine Achtgang-Automatik von ZF, angetrieben werden die Hinterräder.
Der Verbrauch ist mit offiziell 13,6 Liter auf 100 km vergleichsweise moderat - fast jeder Porsche Cayenne zum Beispiel liegt deutlich darüber, bei ähnlichem Gewicht und vier Zylindern weniger. Für alle Fälle fasst der Tank des Ghost schon mal 82,5 Liter. Dass ein CO2-Ausstoß von 317 g/km nicht gerade ökologisch korrekt ist, spielt wohl bei der zu erwartenden Stückzahl keine apokalyptische Rolle. Und die Euro-5-Einstufung versöhnt wieder ein bisschen.
Mit dem "kleinen" Ghost will Rolls Royce einen Markt bedienen, der bislang vor allem von Bentley besetzt ist. Die Wirtschaftskrise, die auch die Verkaufszahlen des Phantom vor allem in China und den USA gedrückt hat, spielt dabei weniger eine Rolle: Der Bau des Ghost wurde zu Zeiten beschlossen, als an der Wallstreet noch klotzig verdient wurde. Seit BMW 2003 die britische Autoschmiede übernommen hat ging es dem Phantom bis 2008 wie den Börsenkursen: stetig aufwärts. Vergangenes Jahr verkauften die Briten rund um den Globus 1212 Phantom, wieder einmal 20 Prozent mehr als im Vorjahr.
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