Eine Landstraße nördlich von Ingolstadt nachts um halb zwölf. Der mit wilder Tarnfolie beklebte Audi A8 bahnt sich bei wenig sommerlichen 16 Grad seinen Weg durch die Dunkelheit, die für ihn keine mehr ist. Gleißend hell erleuchten seine LED-Scheinwerfer den Bereich vor der Luxuslimousine, die im Herbst eine Modellpflege bekommt, um der Konkurrenz von BMW 7er und insbesondere der neuen Mercedes S-Klasse zu trotzen.
Vollvariabel passt sich der scheinbar unendliche Lichtkegel den lokalen Gegebenheiten der Umgebung an. In Sekundenbruchteilen werden Bäume, Sträucher, Verkehrsschilder und die Fahrbahn von den 25-LED-Modulen pro Scheinwerfer taghell ausgeleuchtet. Als der Prototyp von hinten sanft auf ein anderes Fahrzeug auffährt, wird dies automatisch aus dem Lichtkegel ausgeblendet, damit keine Blendung auftritt. Links und rechts am Frontfahrzeug vorbei strahlen dagegen die Hightech-LED-Leuchten des vollautomatischen Matrix-Fernlichts den Raum aus, sodass der Vorausfahrende - mit dünnem Halogenlicht unterwegs - so fast mehr sieht als mit den eigenen Scheinwerfern.
Das punktgenaue Ausblenden des entgegenkommenden und vorausfahrenden Verkehrs erledigt eine Kamera hinter dem Innenspiegel. Wenn der Lichtschalter auf der Position "Automatik" steht und das Fernlicht eingeschaltet ist, wird das System innerorts ab 60 km/h und außerorts ab 30 km/h aktiv.
Szenenwechsel auf die Rennstrecke von Le Mans, nicht einmal 48 Stunden vorher: Das Gewinnerauto, der Audi R18 TDI e-tron mit der Startnummer 2, bahnt sich zusammen mit seinen zwei Schwestermodellen, die schließlich auf den Plätzen drei und fünf landeten, mit Vollgastempo seinen Weg durch die Nacht. Auch hier passen sich die Scheinwerfer variabel den Rahmenbedingungen an. Bei engen Kurven schalten sich kleine LED-Inseln der Rennflunder dazu und leuchten so den Nahbereich links und rechts vor dem Rennwagen aus.
Von der Rennstrecke ins Serienauto - so lautet der Slogan
"Natürlich interessiert sich für die Blendung der anderen bei einem Autorennen niemand", lächelt Audi-Entwicklungsleiter Stephan Berlitz, "man hat ja keinen Gegenverkehr. Unsere Le-Mans-Rennwagen hatten LED-Scheinwerfer mit Reichweiten von knapp einem Kilometer." Dagegen wirkten die Frontscheinwerfer der Konkurrenzrenner von Porsche, Toyota, Chevrolet oder Aston Martin wie windige Funzeln.
Von der Rennstrecke ins Serienauto - das sind Slogans; die die Marketingabteilungen der Autohersteller mit emsigem Applaus bedenken. Kein anderer Hersteller wie Audi hat das Fahrzeuglicht in den vergangenen Jahren derart stimmungsvoll in die Köpfe der Kunden projiziert wie die Ingolstädter. Jetzt wird die nächste Leuchtrakete gezündet und die heißt LED-Matrixlicht.
Eingeführt wird das neue Lichtsystem mit der Modellpflege des Audi A8, der auf der Frankfurter IAA Mitte September seine Weltpremiere feiert. Als erster Scheinwerfer überhaupt wird das LED-Licht im neuen Audi A8 vollvariabel sein und ohne mechanische Teile auskommen. "Der Vorteil ist, dass wir bei Gegenverkehr mehr als einen Verkehrsteilnehmer ausblenden können und trotzdem noch den Bereich zwischen den Objekten ausleuchten können", erklärt Stephan Berlitz.
Hört sich schwierig ist - ist es aber nicht, wenn man im Lichtkanal die Probe aufs Exempel macht. Werden links und rechts vor dem Fahrzeug in weiter Ferne zwei Lichtquellen als Gegenverkehr oder stehendes Objekt erkannt, bleibt der besonders wichtige Bereich direkt vor dem Fahrzeug mit dem grellen Fernlichtkegel nicht unausgeleuchtet, wie bei den aktuellen Systemen dem Konkurrenz, so die Audi-Entwickler.
Ein guter Scheinwerfer kostet mittlerweile so viel wie ein einfacher Motor
Dass man das Ganze im Rahmen eines großen Lichtpakets inszeniert hat, soll die Kaufraten erhöhen. Fährt man mit Tempo 50 aus einer geschlossenen Ortschaft heraus und beschleunigt, ziehen bei eingeschalteter Fernlichtautomatik die Matrix-Lichter auf, wie ein Vorhang im Theater. Wem das schon gut gefällt, der wird an den wischenden LED-Blinkern seine helle Freude haben. Nachdem diese am Heck des Audi R8 im vergangenen Jahr eingeführt wurden, gibt es die Wischtechnik nun auch beim neuen Audi A8 - vorne wie hinten. Stephan Berlitz: "Wir sind nur noch dabei, diese ebenfalls als Warnblinklicht genehmigt zu bekommen."
Die Entwicklung der Lichttechnik wird bei allen großen Autoherstellern mit ebenso großem Druck wie Investitionen vorangetrieben. "Ein guter Scheinwerfer kostet mittlerweile so viel wie ein einfacher Motor", räumt Stephan Berlitz ein, "so etwas hat 400 Einzelteile, muss gekühlt werden und ist extrem aufwendig." Allein bei Audi arbeiten aktuell 100 Lichtentwickler und fünf Designer an den Scheinwerfern und deren Grafiken als Stilelement für neue Fahrzeuge.
Insgesamt ermöglicht der neue Hightech-Scheinwerfer des Audi A8 fast eine Milliarde Lichtvariationen. Da dürfte für jeden das rechte dabei sein - inklusiv Stand-, Fahr-, Abbiege-, Kurven-, Nebel-, City- und Autobahnlicht.
|